8.2.1 Tragmodell nach Mann/Müller

Eine aussteifende Wandscheibe wird in der Regel als Kragscheibe modelliert, welche durch eine vertikale Normalkraft sowie eine Horizontalkraft beansprucht wird. An der Einspannstelle ergeben sich damit eine horizontale und eine vertikale Auflagerkraft sowie ein Einspannmoment. Tatsächlich treten i.d.R. jedoch keine Einzelkräfte, sondern Spannungen auf, die als Schubspannungen und Normalspannungen idealisiert werden können.

Die Wirkungsweise dieser Spannungen und die Beanspruchungssituation einer derartigen Scheibe aus Mauerwerk haben Mann und Müller Ende der 70er Jahre an einer Mauerwerkswand im Läuferverband untersucht und ein entsprechendes Tragmodell entwickelt (vgl. [16]). Hierzu wurde zunächst ein Teil der Wand gedanklich herausgeschnitten und an den Rändern die einwirkenden Schub- und Normalspannungen angetragen (s. Bild 8-3). Dabei wurde die Annahme getroffen, dass Schubspannungen nur im Stein und in den Lagerfugen übertragen werden können, nicht aber in den Stoßfugen. Bei einer Stoßfugenvermörtelung wurde eine Übertragung von Spannungen ebenfalls ausgeschlossen, da auch hier aufgrund der fehlerbehafteten, imperfekten Bauausführung und des Schwindens des Mörtels nicht von vollflächigem Haftverbund ausgegangen werden kann.

Anhand dieses herausgeschnittenen Elements betrachten Mann/Müller anschließend einen einzelnen Mauerstein und leiten die Beanspruchungen desselben ab (s. Bild 8-4). Die am oberen und unteren Rand wirkenden Schubspannungen τ führen dabei dazu, dass der Einzelstein ein Drehmoment erfährt. Um dieses Drehmoment aufnehmen zu können, wurde von Mann/Müller die Annahme getroffen, dass eine abgestufte Normalspannungsverteilung vorliegt, die ein entsprechend entgegenwirkendes Moment hervorruft. Dabei wurde für die in den Lagerfugen wirkenden Normalspannungen eine plastische Spannungsverteilung – also ein Spannungsblock – unterstellt. Die Normalspannung am oberen Rand wird somit auf der einen Seite um das Maß Δσ vergrößert und im restlichen Querschnitt um Δσ verringert. Analog geschieht dies am unteren Rand, wobei hier die Seiten, auf denen Δσ addiert bzw. subtrahiert wird, vertauscht sind, sodass bei Einhaltung des vertikalen Gleichgewichts aus der unterschiedlichen Spannungsverteilung ein Drehmoment entsteht. Alle Spannungen in den Stoßfugen werden vernachlässigt.

Für weiterführende Literatur zu den Untersuchungen und Versuchen von Mann/Müller zur Schubtragfähigkeit wird auf [15], [16] und [17] verwiesen.