1.1 Funktionalität von Mauerwerk
1.1.2 Geschichtliche Entwicklung
Mauerwerk aus künstlichen Steinen weist eine mehr als 6000jährige geschichtliche Entwicklung auf, in der es sich permanent wechselnden Anforderungen anpassen musste. So entwickelte sich ausgehend von den Lehmziegelbauten der antiken Hochkulturen des Zweistromlandes zwischen Euphrat und Tigris sowie des alten Ägyptens, die römische Wölbekunst mit gebrannten Tonziegeln für Thermen, Aquädukte und sonstige Zweckbauten. Mauerwerk aus Tonziegeln wurde auch als äußere Schale für Gussmauerwerk (Opus Caementitium) verwendet. Im frühen Mittelalter (ab dem 5. Jhd. n. Chr.) gerät die Kunstfertigkeit der Ziegelherstellung in Mitteleuropa zunehmend in Vergessenheit und es entstehen in 1. Linie Holzhäuser. Erst ab dem 8. Jhd. n. Chr. sind in Deutschland wieder Ziegelbauten anzutreffen (Aachener Kaiserpfalz; Basilika in Steinbach bei Michelstadt), wobei vorzugsweise römisches Ziegelmaterial Verwendung findet. Mit der Gründung größerer Städte in natursteinarmen Regionen wie Flandern, den Niederlanden und Norddeutschland gewinnt der Backsteinbau im Hoch- und Spätmittelalter zunehmend an Bedeutung (z.B. Lübecker Dom 1173). Im 15. Jhd. gelingt Brunelleschi (1377 - 1446) beim Bau des Domes in Florenz die gerüstfreie Überwölbung einer zweischaligen Kuppel mit 42 m Durchmesser mit Hilfe einer besonderen Verlegetechnik. Im 17. und 18. Jahrhundert - bedingt durch die riesigen Bauvorhaben der barocken Klöster - erhält Backstein (Ziegel) als Baustoff wieder große Bedeutung, wobei die Oberflächen in der Regel verputzt bleiben.
Das 19. Jahrhundert mit seinem hohen Materialbedarf für die Herstellung massiver Bauwerke anstelle von Holzhäusern löste allmählich einen Prozess aus, der zur Industrialisierung der Ziegelherstellung führte. An die Stelle der Feldbrandmeiler in örtlicher Nähe der Bauvorhaben traten ab Mitte des 19. Jhd. industrielle Ziegeleien, die mit Hilfe von Maschinen (wie z.B. der Strangpresse) und dem Brennen im Ringofen den Ausstoß enorm steigerten. Verbesserte Transportmöglichkeiten, Formatierung und Normierung der Steinabmessungen (Reichsformat, Dünnformat, Normalformat) und ein geregelter Verband sind Entwicklungen, die Unabhängigkeit des Materials vom Bauplatz und weitere ökonomische Vorteile mit sich bringen.
Etwa zu dieser Zeit, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, begannen außerdem die ersten Versuche, Steine aus Kalkmörtel herzustellen. Problematisch war zunächst, eine ausreichende Steinfestigkeit zu erreichen, was schließlich im Jahr 1880 durch die Härtung der Kalksandsteine unter Dampfdruck gelöst werden konnte. Daraufhin folgte nach kurzer Zeit der Beginn der industriellen Herstellung durch mechanische Pressen und befahrbare Härtekessel.
Im 20. Jahrhundert wird Mauerwerk aus künstlichen Steinen überwiegend zur Herstellung vertikaler Traglieder (Wandscheiben, Pfeiler) eingesetzt, während horizontale Tragglieder (Balken und Decken) vorwiegend aus Beton oder Stahl bestehen. Im Stahlbetonskelettbau - ähnlich wie bei den Fachwerkbauten des Mittelalters - dient nichttragendes Mauerwerk dem Raumabschluss. Innerhalb des Gebäudes wird für nichttragende Innenwände vielfach Mauerwerk eingesetzt. Darüber hinaus sind verschiedene Weiterentwicklungen auf den Markt gebracht worden, die verbesserte Wärmedämmeigenschaften aufweisen:
- der gelochte Mauerziegel,
- der porosierte Leichtziegel
- der Porenbetonstein.
In den vergangenen vier Jahrzehnten werden immer häufiger Kalksandsteine und Porenbetonsteine, zum Teil auch Betonsteine, mit deutlich vergrößerten Steinabmessungen – sogenannte großformatige Steine und Planelemente – im Mauerwerksbau verwendet. Diese Steine müssen aufgrund ihres Gewichtes maschinell mit Minikränen versetzt werden. Die hohe Rohdichte von Kalksandstein führt im Gegenzug dazu, dass diese Mauersteine verbesserte Schallschutzeigenschaften aufweisen.
Heutzutage werden Mauerwerksbauten im üblichen Hochbau normativ so ausgelegt, dass eine Nutzungsdauer von 50 Jahren ohne größere Instandsetzungsmaßnahmen gewährleistet ist. Dass die Lebensdauer wesentlich höher sein kann, bezeugen die noch immer erhaltenen Bauten aus Mittelalter und Antike.