6.1.2 Nachweisformat und Traglastfaktoren

Die Tragfähigkeit von Wänden unter zentrischer und exzentrischer (vertikaler) Druckbeanspruchung gilt nach DIN EN 1996-3/NA als nachgewiesen, wenn die einwirkende Bemessungsnormalkraft NEd den Bemessungswert der aufnehmbaren Normalkraft NRd nicht überschreitet:

Gleichung 6.1

Die Ermittlung des Bemessungswertes der einwirkenden Normalkraft NEd erfolgt nach den in Kapitel 3.1.3 genannten Bemessungsansätzen. Vereinfachend genügt es im vereinfachten Berechnungsverfahren für den Nachweis hinreichender Tragfähigkeit, die maximale innerhalb der Wand einwirkende Normalkraft max NEd, der kleinsten aufnehmbaren Normalkraft min NRd gegenüberzustellen. Die Ausnutzung der Wand kann jedoch erhöht werden, wenn der Nachweis an der jeweiligen Bemessungsstelle (Wandkopf, Wandmitte, Wandfuß) mit der jeweils vorhandenen einwirkenden Normalkraft NEd sowie dem zugehörigen Abminderungsbeiwert Φ geführt wird.

Der Bemessungswert der aufnehmbaren Normalkraft NRd wird unabhängig vom tatsächlichen Last-Verformungs-Verhalten des verwendeten Materials unter der Annahme starr-plastischen Materialverhaltens mit Hilfe eines rechteckigen Spannungsblocks ermittelt, dessen Schwerpunkt mit dem Angriffspunkt der Lastresultierenden übereinstimmt. Die Abminderung der Traglast infolge Knicken und/oder Lastexzentrizitäten gegenüber einer zentrisch gedrückten Wand erfolgt dabei über den Traglastbeiwert Φ. Für die vertikale Tragfähigkeit von Mauerwerkswänden im Grenzzustand der Tragfähigkeit gilt daher:

Gleichung 6.2

mit
Φ   Traglastbeiwert
A    Bruttoquerschnittsfläche eines Wandabschnitts (=l · t)
l     Wandlänge
t     Wanddicke
fd   Bemessungswert der Druckfestigkeit des Mauerwerks

Bei annähernd zentrisch belasteten Wänden und Pfeilern liegt im Regelfall keine planmäßige Exzentrizität der Normalkraft infolge von Beanspruchungen um die starke Achse vor, wie dies zum Beispiel bei Windscheiben und/oder Wänden der Fall ist. Die Traglastminderungen infolge vorhandener Lastexzentrizitäten um die schwache Achse, zum Beispiel durch Deckeneinspannung, Deckenauflagerung und Verformungen nach Theorie II. Ordnung, werden – solange die Anwendungsgrenzen des vereinfachten Berechnungsverfahrens eingehalten sind – durch den Traglastbeiwert erfasst.

Vereinfacht kann die maßgebende Größe für den Traglastbeiwert Φ aus dem kleineren der beiden Abminderungsbeiwerte Φ1 und Φ2 (s. Gleichung (6.3)) bestimmt werden, wenn der Bemessung die maximal einwirkende Normalkraft zu Grunde gelegt wird. Der Beiwert Φberücksichtigt den Einfluss von Biegebeanspruchungen an Wandkopf bzw. Wandfuß, wohingegen der Beiwert Φ2 dem Einfluss der Wandschlankheit auf die Traglast Rechnung trägt und daher in Wandmitte anzusetzen ist.

Gleichung 6.3

Eine gleichzeitige Berücksichtigung von Φ1 und Φ2 ist aufgrund der unterschiedlichen Nachweisstellen (Wandmitte, Wandkopf/-fuß) nicht erforderlich. Allerdings kann die Ausnutzung der Wand erhöht werden, wenn der Nachweis an der jeweiligen Bemessungsstelle (Wandkopf, Wandmitte, Wandfuß) mit der jeweils zugehörigen einwirkenden Normalkraft NEd sowie dem zugehörigen Traglastbeiwert Φ geführt wird.

Der Traglastfaktor Φ1 berücksichtigt – wie bereits angesprochen - eine exzentrische Lasteinleitung infolge der Deckenverdrehung am Endauflager auf Außen- oder Innenwänden und wird in Abhängigkeit von der Deckenstützweite lf und der charakteristischen Mauerwerksdruckfestigkeit fk nach (6.4) und (6.5) berechnet. Bei teilweise aufliegenden Decken wird die Exzentrizität der Auflast ebenfalls im Traglastbeiwert abgebildet.

Gleichung 6.4

Gleichung 6.5

mit

lf      die Stützweite der angrenzenden Geschossdecke in m, bei zweiachsig gespannten Decken mit 0,5 ≤ l1/l2 ≤ 2,0 darf für lf das 0,85-fache der kürzeren Stützweite eingesetzt werden

a/t   Verhältnis von Deckenauflagertiefe zur Dicke der Wand; bei voll aufliegender Decke ist a/t = 1,0

Bei Decken über dem obersten Geschoss (Dachdecken) gilt allgemein:

Gleichung 6.6

Gleichung 6.7

Wird die Traglastminderung infolge Deckenverdrehung durch konstruktive Maßnahmen, z. B. Zentrierleisten mittig unter dem Deckenauflager, vermieden, so gilt unabhängig von der Deckenstützweite bei teilweise aufliegender Deckenplatte Φ1 = 0,9 · a/t und Φ1 = 0,9 bei vollaufliegender Deckenplatte. Bei Verwendung von streifenförmigen Zentrierlagern ist die bei konzentrierter Lasteinleitung entstehende Spitzenspannung als Teilflächenpressung nach Kapitel 7.7 nachzuweisen.

Der Traglastbeiwert Φ2 berücksichtigt den Schlankheitseinfluss (Momente nach Theorie II. Ordnung) auf die Tragfähigkeit der Wand. Er wird ermittelt mit:

Gleichung 6.8

mit
a/t   Verhältnis von Deckenauflagertiefe zur Dicke der Wand; bei voll aufliegender Decke ist a/t = 1,0
hef   Knicklänge der Wand nach Kapitel 5
t      Wanddicke

Eine wichtige Voraussetzung bei Anwendung des Traglastbeiwerts Φ2 ist, dass entsprechend den Anwendungsvoraussetzungen des vereinfachten Berechnungsverfahrens in halber Geschosshöhe tatsächlich nur Biegemomente aus Knotenmomenten infolge Deckeneinspannung und -auflagerung sowie aus Windlasten vorhanden sind. Greifen größere horizontale Lasten (z.B. infolge Fahrzeuganprall) an, ist der Knicksicherheitsnachweis mit dem allgemeinen Berechnungsverfahren zu führen.