5.2.2 Knicklänge drei- und vierseitig gehaltener Wände

Bei Mauerwerkswänden ist es in vielen Fällen ausreichend, die Bemessung unter Ansatz einer zweiseitigen Halterung durchzuführen. Nur bei sehr ungünstigen Lastfällen oder beispielsweise bei Kellerwänden mit großen Horizontallasten bei kleiner Auflast ist ggf. die Berücksichtigung weiterer (seitlicher) Halterungen erforderlich. Derartige seitliche Halterungen sind dann immer auch in den Ausführungsunterlagen deutlich zu kennzeichnen, damit diese bei der Bauausführung als Sonderfall erkannt und die Wandanschlüsse entsprechend ausgebildet werden.

Der Ansatz einer zusätzlichen seitlichen Halterung der betreffenden Wand darf nur dann erfolgen, wenn ausreichend steife Querwände für den Lastabtrag vorhanden sind, deren Abstände gewisse Grenzen nicht überschreiten. Andernfalls geht die aussteifende Wirkung der Querwände verloren. Eine Reduzierung der Knicklänge von drei- und vierseitig gehaltenen Wänden ist daher nur bei folgenden Abständen der Querwände möglich:

b‘  15 · t      bei dreiseitig gehaltenen Wänden

b  30 · t       bei vierseitig gehaltenen Wänden

mit

t         Wanddicke
b, b‘   Abstand des freien Randes von der Mitte der aussteifenden Wand bzw. Mittenabstand der aussteifenden Wand nach Bild 5-4, Bild 5-5 und Bild 5-6. Unabhängig von der Lage eines vertikalen Schlitzes oder einer Aussparung ist an ihrer Stelle ein freier Rand anzunehmen, wenn die Restwanddicke kleiner als die halbe Wanddicke oder kleiner als 115 mm ist

In DIN EN 1996-1-1 wird zwar der Abstand der seitlichen Halterungen mit „l“ bezeichnet, im Nationalen Anhang (NA.15) dagegen der Buchstabe „b“ bzw. „b‘ “ verwendet. Hier wird die Bezeichnung daher dem Nationalen Anhang angepasst und die Wandabstände werden ebenfalls mit „b“ bzw. „b‘ “ verwendet.

Darüber hinaus müssen aussteifende Querwände die nachfolgenden Anforderungen erfüllen:

  • Wandlänge lw≥1/5⋅h (h = lichte Geschosshöhe)
  • Mindestdicke der aussteifenden Wände 1/3 der Dicke der auszusteifenden Wand, mindestens aber t = 11,5 cm
  • Im Bereich von Tür- und Fensteröffnungen gelten für die Länge der aussteifenden Wände die Bedingungen nach Bild 5-6

Sollen tragende Wände durch Querwände ausgesteift werden, so darf nach DIN EN 1996/NA eine unverschiebliche Halterung nur dann angenommen werden, wenn die Wände aus Baustoffen mit annähernd gleichem Verformungsverhalten bestehen und diese gleichzeitig im Verband hochgeführt werden. Anstelle des Verbandes zwischen Längs- und Querwand darf die zug- und druckfeste Verbindung aber auch durch andere konstruktive Maßnahmen sichergestellt werden. Als solche gilt z.B. der Wandanschluss in Stumpfstoßtechnik.

Die Knicklänge mehrseitig gehaltener Wände kann mit den Gleichungen (5.4), (5.5) und (5.6) ermittelt werden. Mit Hilfe der Anpassungsfaktoren α3, α4 nach Tabelle 5-3 kann eine verminderte horizontale Biegesteifigkeit von Mauerwerk mit verringertem Überbindemaß bei großformatigen Steinen erfasst werden. Für klein- und mittelformatiges Mauerwerk sowie großformatiges Elementmauerwerk mit einem planmäßigen Überbindemaß lol/hu ≥ 0,4 betragen die Anpassungsfaktoren α3 = α4 = 1,0.

Für dreiseitig gehaltene Wände gilt:

Gleichung 5.4

Für vierseitig gehaltene Wände gilt:

Gleichung 5.5

Gleichung 5.6

mit

ρ2       Abminderungsbeiwert nach Tabelle 5-1 bzw. Tabelle 5-2
h        Wandhöhe
b, b‘   Abstand des freien Randes von der Mitte der aussteifenden Wand bzw. Mittenabstand der aussteifenden Wand nach Bild 5-4, Bild 5-5 und Bild 5-6. Unabhängig von der Lage eines vertikalen Schlitzes oder einer Aussparung ist an ihrer Stelle ein freier Rand anzunehmen, wenn die Restwanddicke kleiner als die halbe Wanddicke oder kleiner als 115 mm ist
α3, α4   Anpassungsfaktor zur Berücksichtigung der Eigenschaften von großformatigen Steinen nach Tabelle 5-3.

Tabelle 5-3: Anpassungsfaktoren α3 und α4 zur Abschätzung der Knicklänge von Wänden aus Elementmauerwerk mit verringertem Überbindemaß 0,2 ≤ lol/hu < 0,4

Elementgeometrie hu / lu0,50,6251,02,0
3-seitige Halterung α31,00,900,830,75
4-seitige Halterung α41,00,750,670,60
hu = Steinhöhe lu = Steinlänge

Überschreitet der Abstand von aussteifenden Querwänden den zulässigen Grenzwert nach Bild 5-5, muss die Wand als zweiseitig gehalten betrachtet werden. Bild 5-7 veranschaulicht beispielhaft die mögliche Reduzierung der Knicklänge infolge einer seitlichen Halterung der Wand. Die schwarzen Linien zeigen den Verlauf des Knicklängenabminderungsbeiwertes ρ3 für dreiseitig gehaltene Wände bei unterschiedlichen Faktoren für die zweiseitig gehaltene Wand. Die blauen Kurven zeigen den Verlauf der Beiwerte für vierseitig gehaltene Wände. Es ist zu erkennen, dass bei größeren Verhältnissen h/b die Knicklängenbeiwerte schnell relativ stark abnehmen.